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Karin Gambaracci

Zwischen Hans Scharoun und Mies van der Rohe

Wenn man zum ersten Mal in Berlin ankommt, fühlt man sich angesichts dieser riesigen Stadt mit ihren tausend verschiedenen Ecken oft klein. Sie werden nicht in der Lage sein, ihre Farben zu erfassen, ihre Seele zu beschreiben. Und doch ist es ganz spontan, dass man schon nach kurzer Zeit sein Berliner Nest für nichts auf der Welt verlassen möchte. Denn Berlin hat eine Seele, und wir lieben sie: Es ist die Freiheit der Vielfalt.


In Berlin trifft man den Workaholic-Politiker und den New Yorker Musiker, den türkischen Taxifahrer, der verlangt, dass seine Tochter einen Muslim heiratet, und den Manager auf dem Fahrrad, der nur im Bio-Supermarkt einkauft. Architektonisch manifestiert sich diese Energie der gegensätzlichen Pole auf wunderbare Weise am Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes.


Auf der einen Seite steht zum Beispiel das absolute ästhetische Streben der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe. Ein Meisterwerk aus Glas und Stahl, das für ihn das Ideal des "universellen Raums" darstellte und keine Rücksicht auf die praktische Funktion des Gebäudes zu nehmen brauchte, ganz im Gegenteil: Die Kunstwerke der Galerie werden hauptsächlich im Untergeschoss ausgestellt und es gibt erhebliche Platzprobleme. Aber das ist in Ordnung, denn es handelt sich um Mies van der Rohe, eine wahre Legende der Moderne.



Ein paar Meter weiter befindet sich jedoch die Philharmonie. Hier haben wir es mit Hans Scharoun zu tun, einem Architekten, der alles um die Funktion des Gebäudes herum gebaut hat. Und um "die Aufmerksamkeit des Publikums so weit wie möglich auf die Musik zu lenken" (in den Worten des großen Dirigenten Herbert von Karajan), schuf Scharoun in der Tat einen Raum aus drei ineinander verschlungenen Fünfecken, so dass kein Zuschauer jemals weiter als 30 Meter von der Bühne entfernt ist. Ein unglaubliches Gebäude mit "organischer Architektur", das unter anderem Frank Gehry und Renzo Piano inspirierte.


Diese Vielseitigkeit zeichnet die Stadt aus, ohne jemals zusammenhanglos zu wirken, und wir denken, dass es Berlin nach all den Grausamkeiten der Vergangenheit gelungen ist, jenen wirklich offenen und toleranten Geist wieder aufleben zu lassen, der es zur Zeit des Potsdamer Edikts auszeichnete... 


Eine Utopie? Mag sein. Aber in Berlin gibt es vieles, was utopisch ist.


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